Nachdem uns bereits elf Minuten aus einer Loyalitätsmission gezeigt wurden, wurde nun auch ein dreizehnminütiges Video veröffentlicht, das uns den Einstieg ins Spiel zeigt. Hier erfahren wir natürlich viel über die Ausgangsgeschichte des Spiels, sehen aber vor allem endlich das, was neben dem Gameplay bisher stets die wahre Stärke der Mass Effect-Reihe war: Die Narration, oder neudeutsch, das Storytelling. Mit Zwischensequenzen, Charaktereinführungen, Close-Ups und Plottwist zeigt sich BioWare hier endlich von seiner kompetentesten Seite.
Ein kurzer Rückblick: Der Aufschrei der Fans bei der Veröffentlichung des Gameplays der Loyalitäts-Mission in der letzten Woche war groß. Viele konnten an der Optik des Spiels keine direkten Fehler entdecken, fühlten sich aber von dem Ausschnitt schlicht nicht angesprochen. Die Dialoge seien zu platt, vor allem seitens des spritzig geschriebenen Charakters Peebee. Außerdem fehlten, so sagten viele, die Zwischensequenzen. Stattdessen konnte man den Spielern von IGN hauptsächlich zusehen, wie sie mit den fremdartig designten Remnant kämpften und sich durch nur teilweise neuartige und eher wenig komplexe Skill-“Trees“ klickten. Der Funke sprang bei vielen Fans nicht so recht über, obwohl die Frostbite 3 Engine doch ihre neuen Stärken zeigen konnte und das Kampfsystem durchaus flüssig wirkte. Der Grund ist schnell erklärt. Es fehlte das, was BioWare-Spiele bisher gemeinhin wirklich so dauerhaft erfolgreich machte: Die tatsächliche Inszenierung der Geschichte.
634 Jahre später
Umso freudiger empfanden wir nun die Veröffentlichung des 'wahren' Gameplays. In der Einleitung eines Spiels zeigen sich die schreiberischen und cineastischen Fähigkeiten der Entwickler oft am deutlichsten; Charaktere zeigen in ihrer Einführung ihre Schokoladenseiten und die klassische Cutscene zieht den Spieler hier noch in seinen Bann. Absichtlich verschieben wir die Diskussion der gezeigten Story jedoch ans Ende dieses Artikels, um Spielern, die auch die ersten zehn Spielminuten unvoreingenommen erleben wollen, keine Spoiler zu liefern.
Gesichtsanimationen sichtbar optimiert
Optisch fällt zunächst die Mimik der Charaktere erneut ins Auge. Vergangene Videos gaben uns bereits einen Eindruck der Gesichtsanimationen und hinterließen oft auch bei Fans eher einen Eindruck des 'uncanny Valley', des irgendwie unbegründbaren Abneigungsgefühls gegenüber der Charaktere, da an der Mimik „irgendwas nicht stimmt“, das man aber einfach nicht genau festmachen kann. Sollte man dies im Spiel bemerken, wäre ein großer Minuspunkt gefunden, denn die Mass Effect-Reihe legte stets viel Wert auf Dialoge und daher eben auch Gesichter. Anders gesprochen: Was man fünfzig Prozent des Spiels sehen 'muss', sollte so ansprechend wie möglich gestaltet sein, um eine Bindung zu den Charakteren und der Geschichte aufbauen zu können. Bisher gaben sich die Kritiker in diesem Punkt vorsichtig; wurden doch gerade in den letzten Monaten ständig neue Gesichts-Reworks gezeigt, die unklar ließen, wie die Emotionen der Protagonisten tatsächlich im endgültigen Spiel wirken werden. Da nun der Presswerk-Status des Spiels erreicht ist, ist davon auszugehen, dass wir hier das Endprodukt der Charaktermimik sehen können.
Glücklicherweise überrascht BioWare diesmal eher positiv. Zwar hat man in einigen Momenten immer noch den Eindruck, dass die Charaktere gerade in der Augenpartie kaum Regung zeigen und insgesamt irgendwie versteinert wirken, doch an anderen Stellen wirken die Gesichtsregungen und Gestiken täuschend echt und ausgefeilt. Lediglich die etwas zu kalten, toten Augen des männlichen Protagonisten sind sicher auch in Zukunft ein berechtigter Kritikpunkt der Spieler. Hoffentlich schafft hier die eigene individuelle Charaktererstellung Abhilfe. Auch die Mundbewegungen wirken teilweise etwas zu überzeichnet, muss doch nicht jedes O und U mit einem deutlichen Kussmund geformt werden. Doch insgesamt ist das eher Meckern auf hohem Niveau.
Auch beim Punkt Animationen legt Andromeda kräftig vor. Die Laufanimationen sind eine deutliche Verbesserung zu Mass Effect 3. Das BioWare-Phänomen der seit Jahren spielübergreifend wiederverwerteten Animationen, die man als Veteran des Entwicklerstudios zu deutlich bemerken konnte, fällt hier nicht mehr auf. Die klassischen Millisekunden-Ruckler in einigen Animationen sieht man in dieser frühen Version aber ebenso wie bereits in den Vorgängern. Eine BioWare-Krankheit, die man wohl nie los wird.
Bei Texturen und Beleuchtung bekommt man bei Andromeda gemischte Signale. Die Haut der meisten Charaktere wirkt extrem detailreich mit sichtbaren Poren und einem leichten Feuchtigkeitsglanz, der zwar realistisch wirkt, aber den Eindruck einer etwas schwitzigen Haut vermittelt. Gerade Oberflächen sehen in der neuen Engine fantastisch aus und auch die Schatten fallen täuschend echt. Doch gerade bei Textilien, vor allem aber bei den Haaren der meisten Spielfiguren, muss man mit dem Kopf schütteln. Hier hat BioWare eindeutig den Geist der Zeit verschlafen und präsentiert (wieder mal) matschige Betonhaare mit schlecht beleuchteten Strähnen. Klar bleibt dennoch: die 60-FPS- und 4k-Optik des Spiels zeigt sich insgesamt hochpoliert und grafisch aufwendig.
Ein völlig neuer Punkt: Das Dialograd. Jetzt, da sich Mass Effect von seinem bipolaren Vorbildlich/abtrünnig-System loslöst, sieht man im neuen Video zum ersten Mal, wie man sich die Alternative vorzustellen hat. Unterschieden wird jetzt nur noch zwischen den vier Antwort-Typen „emotional“, „logisch“, „locker“ und „professionell“, die alle durch anschauliche Symbole im Dialograd verbildlicht werden. Eventuell sind auch noch mehr Antworttypen im Spiel enthalten, die nur im gezeigten Videoausschnitt nicht zu sehen sind.
Minigames bleiben fester Bestandteil des Games
Ein weiteres Gameplay-Element, das Scannen, war bereits in vorher veröffentlichten Videos zu sehen, ist hier jedoch in ein kleines Tutorial eingebettet. Was so früh im Spiel eingeführt wird (noch bevor man seine erste Waffe hält), scheint im späteren Verlauf sehr wichtig zu sein. Neu ist hier, dass im Scanmenü drei Arten von Forschungspunkten eingeblendet werden, die man offenbar als Belohnung für das Scannen der Spielobjekte erhalten kann. Was es mit dieser 'Währung' auf sich hat, bleibt abzuwarten. Klar ist dadurch nur, dass niemand wirklich um das Scannen herumkommen wird.
Ebenfalls in vergangenen Videos zu hören und jetzt wieder dabei ist die neue künstliche (oder virtuelle?) Unterstützer-Stimme SAM. Eindeutig ein Nachfolger zu EDI, nicht nur optisch, ist SAM eine männliche Stimme, mit der man offenbar durch ein Implantat in Ryders Kopf permanent verlinkt sein wird. Die Stimme klingt in der englischen Originalversion extrem verzerrt und ist daher dem Namensvetter Microsoft-Sam ähnlicher, als es vielleicht gut ist. Wo EDI nur einen leicht synthetischen-Effekt erhielt und diesen durch eine klar ausgeprägte Persönlichkeit mit zahlreichen sarkastischen Witzen wieder wett machte, wirkt SAM nur noch schwer verständlich, monoton und kühl. Es bleibt zu hoffen, dass die KI (oder VI) im weiteren Spielverlauf mehr Charakter zeigt.
Spoileralarm: Nun geht es an die eigentlich eingeführte Story. Zu sehen ist größtenteils nur, was man bereits seitens BioWare vermittelt bekam: Die Hyperion, das Archenschiff der Menschen, trifft zu Beginn des Videos nach 634 Jahren Reise in der Andromeda-Galaxie ein. Durch das Durchfliegen einer fremdartigen „Energiewolke“ fallen jedoch zahlreiche Systeme aus, wobei die Kryostasekapsel von Ryders Bruder/Schwester Schaden nimmt und das Ärzteteam sie/ihn in ein künstliches Koma versetzen muss. Auch die angekündigte Gartenwelt, Habitat 7, ist nicht so paradiesisch wie angenommen und sieht dem Planeten, den man erwartet hat, nicht einmal ähnlich. Von den anderen Archenschiffen gibt es keine Spur und die Kommunikation ist blockiert. Der Vater der Hauptfigur und bis dahin der Pathfinder – beauftragt mit der Entdeckung und Besiedelung habitabler Welten – will nach Protokoll verfahren und die Gartenwelt dennoch direkt besuchen, noch bevor die Schäden am Schiff geklärt sind und die Crew Zeit zum aufwachen hatte. Mit dieser heiklen Entscheidung endet das Video und der weitere Verlauf bleibt offen. Klar ist nur jetzt bereits aus anderen Videos: Die Hauptfigur Scott oder Sara wird bald darauf der neue Pathfinder werden.
Der Einstieg in die Geschichte ist hervorragend inszeniert mit vielen kurzen Einführungen der Charaktere, ohne sich dabei lange aufzuhalten. Tatsächlich wirkt er sogar ein wenig überstürzt. Kaum aufgewacht geht es bereits direkt an die ersten Landung auf dem fremden Planeten. Es gibt kaum Zeit für Spieler und Hauptfigur, sich zu akklimatisieren oder sich mit den Crewmitgliedern zu unterhalten. Das kann man mögen oder verurteilen, es folgt jedoch dem breiten Trend der Spieleindustrie (und in gewisser Weise auch den Vorgängern), direkt mit dem Konflikt einzusteigen, statt sich in langen Banalitäten zu verstricken. Sicherlich wird man später genug Zeit haben, alle dringenden Fragen noch in Dialogen zu stellen. Für uns bleibt aber weiterhin offen, welche Motivation die Andromeda Initiative im Detail hat, wie sie organisiert ist und wer all diese Charaktere eigentlich sind, die sich offenbar schon flüchtig oder intensiv kennen. Vielleicht ein Hauch zu viele offene Fragen, bevor direkt der große Hauptkonflikt beginnt, doch eines schafft die Exposition in jedem Fall: Sie macht den Spieler neugierig und erzeugt Spannung. Und dank des Konsistent gehaltenen Designs kommt sofort das gute alte Mass Effect-Gefühl auf.
Ein insgesamt vielversprechender Einstieg, der zeigt, wie BioWare die alte Reihe erhalten und zugleich optisch aufwerten kann. Ob sich dies auch im Weiteren beweist, hängt von den Antworten auf die noch immer offenen Story-Fragen ab und davon, ob die Charaktere später an Tiefe gewinnen können.